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Muskelrelaxation in der Frühphase des ARDS

Alter Wein in neuen Schläuchen?


Neuromuscular blockers in early acute respiratory distress syndrome.

Papazian L, Forel JM, Gacouin A, et al.                                                                                                                   N Engl J Med 2010; 363:1107-16

Assistance Publique-Hôpitaux de Marseille Unité de Recherche sur les Maladies Infectieuses et Tropicales Emergentes, Centre National de la Recherche Scientifique-Unité Mixte de Recherche 6236, Université de la Méditerranée Aix-Marseille II, Marseille, France.

BACKGROUND: In patients undergoing mechanical ventilation for the acute respiratory distress syndrome (ARDS), neuromuscular blo­cking agents may improve oxygenation and decrease ventilator-in­duced lung injury but may also cause muscle weakness. We evaluated clinical outcomes after 2 days of therapy with neuromuscular blocking agents in patients with early, severe ARDS.
METHODS: In this multicenter, double-blind trial, 340 patients presenting to the intensive care unit (ICU) with an onset of severe ARDS within the previous 48 hours were randomly assigned to receive, for 48 hours, either cisatracurium besylate (178 patients) or placebo (162 patients). Severe ARDS was defined as a ratio of the partial pressure of arterial oxygen (PaO2) to the fraction of inspired oxygen (FIO2) of less than 150, with a positive end-expiratory pressure of 5 cm or more of water and a tidal volume of 6 to 8 ml per kilogram of predicted body weight. The primary outcome was the proportion of patients who died either before hospital discharge or within 90 days after study enrollment (i.e., the 90-day in-hospital mortality rate), adjusted for predefined covariates and baseline differences between groups with the use of a Cox model.
RESULTS: The hazard ratio for death at 90 days in the cisatracurium group, as compared with the placebo group, was 0.68 (95% confidence interval [CI], 0.48 to 0.98; P=0.04), after adjustment for both the baseline PaO2:FIO2 and plateau pressure and the Simplified Acute Physiology II score. The crude 90-day mortality was 31.6% (95% CI, 25.2 to 38.8) in the cisatracurium group and 40.7% (95% CI, 33.5 to 48.4) in the placebo group (P=0.08). Mortality at 28 days was 23.7% (95% CI, 18.1 to 30.5) with cisatracurium and 33.3% (95% CI, 26.5 to 40.9) with placebo (P=0.05). The rate of ICU-acquired paresis did not differ significantly between the two groups.
CONCLUSIONS: In patients with severe ARDS, early administration of a neuromuscular blocking agent improved the adjusted 90-day survival and increased the time off the ventilator without increasing muscle weakness.


In den 1980er Jahren war das Konzept der lungenprotektiven Beatmung noch in weiter Ferne, es wurde nach „bestem Wissen und Gewissen“ mit vergleichsweise hohem Tidalvolumen (≥ 10 ml/kg Körpergewicht) und niedrigem PEEP (≤ 12 cm H2O) beatmet. Darüber hinaus steckten ausgereifte Beatmungsmodi zur unterstützten Spontanatmung in den Kinderschuhen der Techniker, der Kampf zwischen Patient und Respirator war unter den hilflosen Augen des Intensivmediziners klinischer Alltag („fight the ventilator“). So nimmt es nicht Wunder, dass die Verabreichung von Muskelrelaxantien für das praktische Management des ARDS empfohlen wurde (Light RW;  Anesth Analg 1975; 54:219).

In den folgenden Jahr(zehnt)en kam es auf dem Boden wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Neuerungen zu einem erheblichen Wandel in der Beatmungsstrategie (Lungenprotektion, permissive Hyperkapnie, Rekrutierungstechniken, frühe Integration von Spontanatmung): Es gibt wohl keinen Bereich in der Intensivmedizin, der einen solch ausgeprägten Paradigmenwechsel erfahren hat!  Auf diesem Hintergrund überraschend kommt die aktuelle prospektiv-randomisierte Studie von Papazian et al. zur Publikation: Die (adjustierte) 90-Tage-Überlebensrate von Patienten, welche in der Frühphase des ARDS für 48 Stunden mit  Muskelrelaxantien  (Cisatracurium) behandelt wurden, war signifikant höher im Vergleich zur Placebo-behandelten Gruppe. Darüber hinaus war die Quote der beatmungsfreien Tage in der Muskelrelaxations-Gruppe größer und die  Rate an funktioneller Muskelschwäche (Myopathie) war nicht erhöht.

Kritische Beleuchtung der Studienergebnisse

Als Einschluss- und Definitionskriterien für ein „schweres ARDS“ galten in dieser Studie eine PaO2/FIO2-ratio < 150 bei einem PEEP ≥ 5 cm H2O. In der derzeit allgemein akzeptierten Ära, welche von Lungenprotektion und Rekruitment dominiert wird, kann man einen solchen PEEP-Level wahrlich nicht als „hoch“ bezeichnen. Es darf vermutet werden, dass die Erhöhung des PEEP auf Werte ≥ 14 cm H2O bei einem erheblichen Anteil der Patienten das „schwere ARDS“ in ein „ALI“ umgewandelt hätte.

So konnten Villar und Mitarbeiter zeigen, dass in der Frühphase eines Lungenversagens nach Durchführung eines adäquaten PEEP/FIO2-Versuchs nur noch 58,2% der Patienten weiterhin die Definition eines ARDS erfüllten und sich 41,8% durch diesen Versuch dergestalt verbessert hatten, dass anschließend ein moderates ALI vorlag (Villar J; Am J Respir Crit Care Med 2007; 176:795). Villar warnt daher davor, auf der Basis einer Blutgasanalyse vorschnell ein „schweres ARDS“ zu definieren und fordert  durch eine Adjustierung von (genügend hohem) PEEP ein “etabliertes“ ARDS zu identifizieren.

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Tags: intensiv-news beatmung ards muskelrelaxation 

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