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Braucht jeder Intensivpatient eine Stressulkusprophylaxe?


Während in den 70iger Jahren noch bei 26% aller Intensivpatienten eine klinisch relevante obere gastrointestinale (GI) Blutung auftrat, reduzierte sich die Inzidenz in den 90iger Jahren auf ca. 10 – 15% und liegt im 21. Jahrhundert bereits unter 5%. Diese Zahlen und die Tatsache, dass auf den meisten Intensivstationen eine obere GI-Blutung im Rahmen eines Stressulkus zu einer Rarität geworden ist, führt zur berechtigten Frage, ob die meisten Intensivpatienten tatsächlich noch routinemäßig eine Stressulkusprophylaxe brauchen. Um diese Frage diskutieren zu können, muss primär die Definition des "Stressulkus" hinterfragt werden.

"Stressulkus" oder "Stressinduzierte gastrale mukosale Läsion"

Im angloamerikanischen Sprachraum wurde vor einigen Jahren der Begriff des "Stressulkus" durch den Ausdruck "Stressinduzierte gastrale mukosale Läsion" ("stress induced gastric mucosal lesion") ersetzt. Dieser Begriff spiegelt nämlich das gastroskopische Bild bei Intensivpatienten wesentlich besser wider. Bei über 75% aller Intensivpatienten sind im Rahmen einer Gastroskopie gastrale Erosionen zu erkennen. Pathogenetisch liegen diesen Schleimhautveränderungen vor allem eine gestörte Mikrozirkulation mit fokaler mukosaler Ischämie zu Grunde, während die vermehrte Sekretion von Salzsäure und Pepsin als Stressreaktion, ebenso wie die Infektion mit Helicobacter pylori bei Intensivpatienten eine geringere Rolle spielen dürfte. Außerdem dürfte auch ein duodenogastraler Reflux von Gallensäuren, der teilweise zu einem duodenoösophagealen Reflux mit konsekutiver Ösophagitis führt, für diese fokale mukosale Schädigung bei Intensivpatienten verantwortlich sein. In Anbetracht dieser pathophysiologischen Kenntnisse ist es nicht überraschend, dass bei einer oberen GI-Blutung bei Intensivpatienten, in mehr als 1/3 aller Patienten gastrale Erosionen als Blutungsquelle gastroskopisch identifiziert werden können (Mutlu GM et al. Chest 2001:1222). Die 2. häufigste gastroskopisch identifizierbare Ursache ist in 20 bis 45% (vor allem bei chirurgischen Intensivpatienten) eine Ösophagitis, während ein klassisches Ulkus duodeni oder ventrikuli lediglich in 30% als Blutungsquelle verantwortlich ist (Abbildung 1 + 2).

Welche Intensivpatienten haben ein erhöhtes Risiko für eine GI-Blutung?

Seit der Studie von Deborah Cook im New England Journal of Medicine 1994 (Cook D et al. New Engl J Med 1994:377) sind die Indikationen für eine Stressulkusprophylaxe klar definiert (Tabelle 1). Die Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass bei Patienten mit einer respiratorischen Insuffizienz (Beatmungsdauer länger als 48 Stunden) und bei Patienten mit Gerinnungsstörung (INR > 1,5 oder Thrombozytenzahl < 50 G/l) die Wahrscheinlichkeit für eine klinisch relevante GI-Blutung signifikant höher war (odds ratio für respiratorische Insuffizienz 15,6 und für Gerinnungsstörung 4,3). Erwähnenswert ist die Tatsache, dass Patienten nach Schädel-Hirn Trauma, Verbrennungen > 30% und Patienten mit einer Ulkusanamnese innerhalb der letzten 6 Wochen vor der ICU-Aufnahme von der Studie ausgeschlossen waren, da die Autoren der Meinung waren, dass das Vorenthalten einer Stressulkusprophylaxe bei diesen Patienten nicht gerechtfertigt erscheint. Bei Patienten, die keinen dieser 5 Risikofaktoren aufwiesen, lag die Inzidenz einer klinisch relevanten GI-Blutung lediglich bei 0,1%. In mehreren kleineren Studien wurden darüber hinaus Patienten mit akutem Leberversagen, Nierenversagen, Polytrauma und Insult als Risikopatienten für eine relevante obere GI-Blutung identifiziert. In den meisten Studien wurde als primärer Endpunkt das Auftreten einer klinisch relevanten GI-Blutung definiert, wobei "klinisch relevant" als Notwendigkeit einer Substitution mit Erythrozytenkonzentraten festgelegt wurde. Die Definition dieses Endpunktes ist sicherlich sinnvoll, da wesentlich mehr Patienten leicht blutigen gastralen Reflux oder Haemoccult-positive Stühle aufweisen, daraus jedoch keinerlei klinische Relevanz zu ziehen ist.

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Tags: intensiv-news stress stressulkusprophylaxe 

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