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Vom Delir zur Demenz

Verursacht Intensivtherapie neurokognitive Langzeitfolgen?


Das Gehirn in der "Hierarchie" der Organversagen

In der noch immer jungen Geschichte der Intensivmedizin haben einige Organe und Organsysteme von Anfang an besonderes Interesse erweckt: So übernahmen die vital bedrohlichen Funktionsstörungen an Lunge, Kreislaufsystem und auch an der Niere sowohl aus diagnostischer wie auch therapeutischer Sicht früh eine dominante Rolle im intensivmedizinischen Denken, zumal auch gleich zu Beginn spektakuläre Erfolge erzielt wurden. Die Einführung von Überdruckbeatmung entwickelte sich während der dänischen Poliomyelitis-Epidemie der 1950er Jahre und gilt als der eigentliche Beginn der modernen Intensivmedizin. Diese Epidemie überforderte das Beatmungspotential der vorhandenen "eisernen Lungen" massiv. Allein im Jahr 1952 entwickelten 315 von 2722 Patienten Symptome der Ateminsuffizienz, eine für die damalige Infrastruktur ungeheure Herausforderung. Die Einführung von Beatmungsmaßnahmen und Intensivstationen verbesserte die Prognose enorm. In weiterer Folge war die technische und organisatorische Entwicklung der Intensivmedizin jahrzehntelang von den Fortschritten der Beatmung dominiert. Erst die Einführung des Pulmonaliskatheters und der bettseitigen Echokardiographie in der Kreislaufdiagnostik sowie die Entwicklung extrakorporaler Nierenersatzverfahren oder invasiver endoskopischer Diagnostik und Therapie stellten vergleichbare technische Entwicklungen dar, welche die letzten Dekaden prägten.

Den genannten "vitalen" Organsystemen ist gemeinsam, dass ihre Funktion unmittelbar für das Überleben notwendig und mit einfachen Mitteln monitierbar ist. Sie kann anhand reproduzierbarer Zielgrößen (Blutgasanalyse, Beatmungsdrucke, Blutdruck, Herzzeitvolumen, Harnproduktion etc.) auch standardisiert werden, was die Voraussetzung wichtiger Studien darstellte. Bis vor kurzer Zeit endete die "innere Zuständigkeit" vieler Intensivmediziner auch mit der Wiederherstellung stabiler Vitalfunktionen. Der möglichst rasche Transfer an die Normalstation unter einigermaßen stabilen Verhältnissen galt und gilt als entscheidender intensivmedizinischer Erfolg, der das weitere Schicksal ehemaliger Intensivpatienten überstrahlt. Die Zeit danach - im Krankenhaus wie auch nach Entlassung - sowie die subjektive Realität ehemaliger Intensivpatienten wurden erst in den letzten Jahren systematisch untersucht (Hopkins ARCCM 2005; 17:1340). Dabei zeigte sich, dass neben weiterbestehenden Organversagen vor allem ein bisher vernachlässigter Faktor über langfristigen und subjektiven Erfolg mitentscheidet: das Gehirn.

"Gehirnversagen" - nicht erst beim Multiorganversagen?

Das menschliche Gehirn kann als das komplexeste Organ der bisherigen Evolution betrachtet werden, dessen Funktionen schon traditionell nur stark vereinfacht dargestellt werden (Abb. 2). Seine vielfältigen Aufgaben sind biologisch entsprechend abgesichert, hängen aber auch von physiologischen Voraussetzungen ab, die bei kritisch kranken Patienten nicht konstant gegeben sind. Es ist nur auf den ersten Blick überraschend, dass Gehirn und Nervensystem während der Entwicklung der Intensivmedizin keine den "klassischen" Organversagen vergleichbare Rolle spielte: Wesentliche Leistungen wurden lange durch Sedierung beeinträchtigt und können auch nicht durch physiologische Parameter erfasst werden. So genügte lange der Begriff einer "Enzephalopathie" zur Beschreibung zerebraler Störungen im Rahmen von Organversagen; spezielles Monitoring ist auch heute nicht in Sicht.

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Tags: intensiv-news neurologie delir demenz 

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