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Muskelrelaxation in der Frühphase des ARDS

Alter Wein in neuen Schläuchen?


Neuromuscular blockers in early acute respiratory distress syndrome.

Papazian L, Forel JM, Gacouin A, et al.                                                                                                                   N Engl J Med 2010; 363:1107-16

Assistance Publique-Hôpitaux de Marseille Unité de Recherche sur les Maladies Infectieuses et Tropicales Emergentes, Centre National de la Recherche Scientifique-Unité Mixte de Recherche 6236, Université de la Méditerranée Aix-Marseille II, Marseille, France.


In den 1980er Jahren war das Konzept der lungenprotektiven Beatmung noch in weiter Ferne, es wurde nach „bestem Wissen und Gewissen“ mit vergleichsweise hohem Tidalvolumen (≥ 10 ml/kg Körpergewicht) und niedrigem PEEP (≤ 12 cm H2O) beatmet. Darüber hinaus steckten ausgereifte Beatmungsmodi zur unterstützten Spontanatmung in den Kinderschuhen der Techniker, der Kampf zwischen Patient und Respirator war unter den hilflosen Augen des Intensivmediziners klinischer Alltag („fight the ventilator“). So nimmt es nicht Wunder, dass die Verabreichung von Muskelrelaxantien für das praktische Management des ARDS empfohlen wurde (Light RW;  Anesth Analg 1975; 54:219).

In den folgenden Jahr(zehnt)en kam es auf dem Boden wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Neuerungen zu einem erheblichen Wandel in der Beatmungsstrategie (Lungenprotektion, permissive Hyperkapnie, Rekrutierungstechniken, frühe Integration von Spontanatmung): Es gibt wohl keinen Bereich in der Intensivmedizin, der einen solch ausgeprägten Paradigmenwechsel erfahren hat!  Auf diesem Hintergrund überraschend kommt die aktuelle prospektiv-randomisierte Studie von Papazian et al. zur Publikation: Die (adjustierte) 90-Tage-Überlebensrate von Patienten, welche in der Frühphase des ARDS für 48 Stunden mit  Muskelrelaxantien  (Cisatracurium) behandelt wurden, war signifikant höher im Vergleich zur Placebo-behandelten Gruppe. Darüber hinaus war die Quote der beatmungsfreien Tage in der Muskelrelaxations-Gruppe größer und die  Rate an funktioneller Muskelschwäche (Myopathie) war nicht erhöht.

Kritische Beleuchtung der Studienergebnisse

Als Einschluss- und Definitionskriterien für ein „schweres ARDS“ galten in dieser Studie eine PaO2/FIO2-ratio < 150 bei einem PEEP ≥ 5 cm H2O. In der derzeit allgemein akzeptierten Ära, welche von Lungenprotektion und Rekruitment dominiert wird, kann man einen solchen PEEP-Level wahrlich nicht als „hoch“ bezeichnen. Es darf vermutet werden, dass die Erhöhung des PEEP auf Werte ≥ 14 cm H2O bei einem erheblichen Anteil der Patienten das „schwere ARDS“ in ein „ALI“ umgewandelt hätte.

So konnten Villar und Mitarbeiter zeigen, dass in der Frühphase eines Lungenversagens nach Durchführung eines adäquaten PEEP/FIO2-Versuchs nur noch 58,2% der Patienten weiterhin die Definition eines ARDS erfüllten und sich 41,8% durch diesen Versuch dergestalt verbessert hatten, dass anschließend ein moderates ALI vorlag (Villar J; Am J Respir Crit Care Med 2007; 176:795). Villar warnt daher davor, auf der Basis einer Blutgasanalyse vorschnell ein „schweres ARDS“ zu definieren und fordert  durch eine Adjustierung von (genügend hohem) PEEP ein “etabliertes“ ARDS zu identifizieren.

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Tags: intensiv-news beatmung ards muskelrelaxation 

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