INTENSIV-News
Inflammation ist eine physiologische Reaktion auf die Störung der
körperlichen Integrität durch Infektion und Trauma. Beginn und
Aufrechterhaltung der Inflammation bringen eine komplexe Interaktion
pro- und antiinflammatorischer Zytokine mit sich. Eine deutliche
Imbalance zugunsten proinflammatorischer Mediatoren führt zu einer
überschießenden Immmunantwort, die letztendlich in systemischer
Inflammation, Sepsis und Organversagen mit letalem Ausgang münden kann.
Wird diese erste Phase überlebt, kommt es meist im Sinne einer
Gegenreaktion zu einer Immunparalyse.
Kürzlich wurde der sogenannte cholinerg antiinflammatorische Pathway als
ein Mechanismus der neuronalen Inflammationskontrolle über den
efferenten N. vagus beschrieben (Pavlov VA; Mol Med 2003; 9:125; Tracey
KJ; J clin Invest 2007; 117:289). Acetylcholin reduziert die Freisetzung
proinflammatorischer Zytokine durch aktivierte Makrophagen in vitro. In
vivo schützt die elektrische Stimulation des N. vagus vor einem
experimentellen septischen Schock, ferner hemmt Acetylcholin über die
α-7-Subunit des nikotinergen Acetylcholin-Rezeptors auch hier die
Freisetzung von Tumornekrosefaktor α (TNFα). Darüber hinaus senkt eine
Splenektomie bei polymikrobieller experimenteller Sepsis die Freisetzung
von High-Mobility-Group-Box-1-Protein (HMGB1) und verbessert das
Überleben der Versuchstiere (Huston JM; J Immunol 2008; 181: 3535).
Eigene Versuche zeigen, dass die präventive Sympathikolyse mittels
Clonidin oder Dexmedetomidin vor einer experimentellen letalen
polymikrobiellen Sepsis schützt. Ursächlich kommt eine Hemmung des
adrenergen proinflammatorischen Pathways in Frage, der über α-adrenerge
Rezeptoren von Neutrophilen und Makrophagen die Freisetzung
proinflammatorischer Zytokine hervorruft (Rittirsch D, Nat Rev Immunol
2008; 8:776).
Cholinerge Aktivierung durch Hemmung der Cholinesterase mit peripher und
zentral wirkenden Cholinesterase-Inhibitoren wird klinisch bereits seit
vielen Jahren bei verschiedenen Indikationen, u.a. in der Behandlung
des zentralen anticholinergen Syndroms und adjuvant in der
Schmerztherapie eingesetzt. Hier stellt sich die interessante Frage, ob
mit diesen Substanzen auch der cholinerge antiinflammatorische Pathway
und damit unter Umständen der Verlauf einer Sepsis günstig beeinflusst
werden kann. Eine eigene Untersuchung zur Gabe von Physostigmin und
Neostigmin bei muriner experimenteller Sepsis beleuchtet diese Frage
(Hofer S; Crit Care Med 2008; 36:404).
Zunächst wurde gezeigt, dass Cholinesterase-Hemmung mit Physostigmin
das Überleben bei muriner experimenteller Sepsis verbessert und genauso
effektiv ist wie das etablierte Modell der direkten Stimulation des
Acetylcholin-Rezeptors durch Nikotin, das bei anderen Arbeiten
angewendet wurde.
Die Gabe von Physostigmin senkt die Aktivierung von NF-κB, die Bildung
proinflammatorischer Mediatoren und die Aktivierung von Makrophagen. Die
beobachtete verminderte Transaktivierung von NF-κB durch
Cholinesterase-Hemmung ist möglicherweise der entscheidende Mechanismus,
der dem verbesserten Überleben bei muriner experimenteller Sepsis durch
Kontrolle der überschießenden Inflammation zugrunde liegt. Trotz der
durch die Hemmung der Cholinesterase signifikant gesenkten Plasmaspiegel
von TNFα, IL-1β und IL-6 waren beträchtliche Konzentrationen weiterhin
messbar. Möglicherweise reflektieren aber gerade diese
Zytokin-Konzentrationen ein suffizientes Maß und eine angemessene
Reaktion auf die Infektion ohne Überschießen der Immunantwort mit all
ihren Folgen und somit eine zwar „gezähmte“ aber doch funktionell
gerichtete proinflammatorische Reaktion.
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Tags: intensiv-news sepsis netzwerk therapie
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