INTENSIV-News
Neben der Diskussion um Kristalloide versus Kolloide gibt es wohl kaum
ein Thema, das mit solcher Ausdauer diskutiert wird, wie die
Bluttransfusion beim Intensivpatienten. Extremes Sicherheitsdenken bei
den Befürwortern eines hohen Hämatokrites beim kritisch Kranken stehen
leidenschaftliche Hämodilutionisten gegenüber, die das Absenken des
Hämoglobinspiegels mit nahezu sportlichem Ehrgeiz vorantreiben. Wie so
oft scheint es aber, daß die Wahrheit in der Mitte liegt oder sich
zumindest kein allein seeligmachendes Kochrezept für alle Fälle
verordnen läßt. Was will man überhaupt erreichen?
Zwei Begriffe sind zu unterscheiden:
Erstens,
der optimale Hämatokrit, das ist jener Hämatokrit, bei dem der
Organismus und die Organe eine optimale Funktion haben und gleichzeitig
die Gefahren einer Transfusion minimiert werden können. Zweitens, der
kritische Hämatokrit, das ist jener Hämatokritwert, unter dem eine
Minderversorgung und damit eine Einschränkung der Organfunktionen
eintritt. Zum optimalen Hämatokrit ist zu sagen, daß schon der
physiologische Normalwert von 40-45% keineswegs optimal ist, denn erst
bei Werten von ca. 30% kann man von einer optimalen Sauerstoffversorgung
des Gewebes sprechen. Das dieser durch seine hohe Viskosität
suboptimale Wert in der Evolution selektioniert wurde, ist
wahrscheinlich mehr auf die Reservekapazität zurückzuführen, die damit
unseren Vorfahren im Verletzungsfall zur Verfügung gestanden ist, als
daß er rheologisch oder metabolisch optimal wäre. Jedes Absinken der
Sauerstofftransportkapazität wird über einen weiten Bereich hinweg vom
Organismus kompensiert, einerseits durch eine Erhöhung der
Sauerstoffextraktion, andererseits durch eine Steigerung der
Herzleistung. Diese Kompensationsmechanismen sind es auch, die ein
weiteres Absenken des Hämatokrites erlauben. Dilutionsbefürworter sehen
darin eine Möglichkeit, Bluttransfusionen zu vermeiden, die wegen einer
möglichen Infektion oder einer immunologischen Reaktion potentiell als
schädlich zu werten sind. Außerdem konnte nicht gezeigt werden, daß
nicht-schockierte Intensivpatienten von einer Transfusion profitieren,
indem sie als Zeichen des verbesserten Sauerstoffangebots ihren
Sauerstoffverbrauch erhöhen (Lit. 1). Unterstützt werden die Vertreter
dieser Linie durch neuere prospektive Studien, in denen Patienten
entweder in eine Gruppe mit liberaler Transfusionspolitik (Hb 10-12
g/dl) oder in eine restriktive Gruppe (Hb 8-9 g/dl) randomisiert wurden
(Lit. 2). Tatsächlich fand sich in der restriktiven Gruppe eine
geringere Mortalität, obwohl die Patienten sich in Diagnose, APACHE
Score und Liegedauer nicht unterschieden. Weitere Studien werden die
Ergebnisse dieser Untersuchung noch beleuchten müssen, doch scheint es
heute bereits nicht mehr gerechtfertigt, Patienten durch Transfusionen
auf einen Hämoglobinwert von über 10 g/dl zu halten.
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