16. Mai 2022
Freiburg. Bei der 53. Jahrestagung der Gesellschaft für Pädiatrische Nephrologie (GPN), 15. – 18. Mai in
Freiburg wird über Fortschritte bei der Behandlung niereninsuffizienter Kinder, neue
Versorgungsmöglichkeiten und Perspektiven für die Zukunft diskutiert. Über 250 nationale und
internationale Experten aus Medizin und Psychologie sowie Pflegefachkräfte tauschen sich über neueste
Erkenntnisse in Diagnostik und Therapie von Nierenerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen aus.
Prof. Dr. med. Martin Pohl, Tagungspräsident und Leiter der Sektion Kindernephrologie am Zentrum für
Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Freiburg, gibt vorab Einblicke in aktuelle
Forschungsfragen.
Prof. Pohl, Sie haben selbst einmal von „therapeutischen Quantensprüngen“ gesprochen. Wie ist der
Stand der Entwicklung in der Pädiatrischen Nephrologie?
Prof. Pohl: Die pädiatrische Nephrologie profitiert in besonderem Masse von den wissenschaftlichen
Erkenntnissen zur Entstehung seltener Erkrankungen. Viele seltene Erkrankungen manifestieren sich bereits
im Kindesalter und durch die Aufklärung der genetischen Ursachen ergeben sich Hinweise auf die
Pathophysiologie, die Ansätze zum gezielten medikamentösen Eingreifen bietet. So wurden über die letzten
zehn Jahre auch im Bereich der pädiatrischen Nephrologie Medikamente entwickelt, die vormals unheilbare
Erkrankungen wie zum Beispiel das genetisch bedingte hämolytisch-urämische Syndrom beherrschbar
machen. In anderen Bereichen profitiert die Kindernephrologie von den Fortschritten in der Behandlung
chronisch nierenkranker Erwachsener. Erkenntnisse über präventive Therapiemaßnahmen stammen aus
Langzeitbeobachtungen größerer Patientenkohorten im Erwachsenenalter und werden dann analog auch
bei Kindern und Jugendlichen mit kleineren Fallzahlen untersucht.
Welche Fortschritte lassen sich aus dem immer besseren Verständnis der Pathophysiologie und Genetik
im Bereich Kindernephrologie ableiten?
Prof. Pohl: Das verbessere Verständnis der genetischen Ursachen und der Pathophysiologie einzelner
Erkrankungen bietet eine Vielzahl von Ansatzpunkten für therapeutische Interventionen. In aufwändigen
und zeitraubenden Untersuchungen muss dann geprüft werden, ob über diese Ansatzpunkte effektive
Therapien realisierbar sind. Bei einzelnen Erkrankungen, z.B. der Primären Hyperoxalurie, ist das bereits
sehr erfolgreich gelungen und ich rechne auch in Zukunft mit weiteren Neuentwicklungen, die
Krankheitsverläufe verhindern oder entscheidend abmildern können.
Zu den Schwerpunkten gehört neben traditionell wichtigen Themen des Fachgebiets wie Transplantation
und Dialyseverfahren auch die Glomerulopathie. Was passiert bei einer Glomerulonephritis? Ist sie
behandelbar?
Prof. Pohl: Die Glomerulonephritis gehört zu den Glomerulopathien und ist selbst ein Überbegriff für eine
Vielzahl ätiologisch verschiedener Entzündungen der Glomeruli. Da eine Glomerulonephritis in der Regel durch eine Fehlregulation des Immunsystems mit Schädigung der Nierenkörperchen verursacht wird,
werden zur Therapie verschiedene immunsuppressive Medikamente in unterschiedlichen Kombinationen
eingesetzt. Viele der Glomerulonephritiden verlaufen jedoch chronisch und müssen sehr langfristig
behandelt werden, um die Entzündungsaktivität zu unterdrücken. Die Therapie ist auch nicht immer
ausreichend effektiv, so dass die Nierenfunktion sich mit der Zeit verschlechtert. Somit gibt es zwar
Behandlungskonzepte, die aber nicht immer zum erwünschten Erfolg führen.
Im Moment spielt sich gerade eine humanitäre Katastrophe in der Ukraine ab. Die Deutsche Gesellschaft
für Nephrologie (DGFN) unterstützt mit Hilfslieferungen. Stehen Sie auch im Kontakt mit Kollegen aus der
Ukraine? Wie schätzen Sie die Lage ein?
Prof. Pohl: Auch die Gesellschaft für pädiatrische Nephrologie (GPN) steht im Kontakt mit den ukrainischen
KollegInnen, die dort unter für uns unvorstellbar schwierigen Bedingungen kranke Kinder versorgen. Mit
unseren Hilfslieferungen versuchen wir, gezielt auf den Bedarf an Medikamenten und Material zu
reagieren. Die Versorgung ist durch die innerukrainische Fluchtbewegung auch in weniger betroffenen
Regionen sehr schwierig geworden. Viele Familien mit dialysepflichtigen Kindern sind bisher in der Ukraine
geblieben, da das Reisen für sie riskant ist und Familien mit chronisch kranken Kindern auf ein gewachsenes
und persönlich unterstützendes Umfeld angewiesen sind.
Zu COVID-19: Nach Studien weisen 30 Prozent der Erwachsenen mit überstandener Erkrankung
Nierenschäden mit einem Funktionsverlust von etwa 35 Prozent auf. Gibt es mittlerweile ausreichende
Untersuchungen von Nierenproblemen nach einer Corona-Erkrankung bei Kindern?
Prof. Pohl: Die Folgen der COVID-19-Infektion sind bei Kindern im Vergleich zu Erwachsenen unterschiedlich
ausgeprägt. Die primäre COVID-19-Infektion verläuft bei immungesunden Kindern und Jugendlichen in aller
Regel mild, aber bei einigen entwickelt sich in den Wochen danach ein sogenanntes PIMS - eine
inflammatorische Multisystemerkrankung, die auch die Nierenfunktion in Mitleidenschaft ziehen kann. Ob
und in welchem Ausmaß nach der COVID-19-Infektion oder nach Auftreten eines PIMS langfristig auch bei
Kindern und Jugendlichen Nierenschäden zurückbleiben, ist bisher noch nicht ausreichend untersucht.
Welche Themen liegen Ihnen besonders am Herzen? Was sind Ihre Highlights während der Tagung?
Prof. Pohl: Persönlich sorge ich mich vor allem um die psychischen und sozialen Folgen der Pandemiejahre,
die meinem Eindruck nach vielfach zu Angst, Rückzug und Resignation besonders bei den Jugendlichen
geführt haben. Auf der fachlichen Ebene bin ich zuversichtlich, dass wir unsere kleinen PatientInnen immer
besser behandeln werden können und freue mich schon auf die zukunftsweisenden Ergebnisse aus den
letzten Jahren! Ich hoffe, dass wir mit unserer Tagung Begeisterung an unserem faszinierenden Fachgebiet
und Freude an der persönlichen Begegnung untereinander vermitteln können.
Wir bedanken uns herzlich für das Interview!
Wir wollen Fachärzte und Pfleger topaktuell und wissenschaftlich fundiert über Studien, fachspezifische Entwicklungen und deren praktische Umsetzung informieren, um sie in ihrer Arbeit und Fortbildung zu unterstützen.
Wählen Sie dazu bitte Ihr Land aus.